Frieden ist möglich
Über Pfingsten waren 150 junge Menschen mit dem interkulturellen Wanderprojekt Frans-Hike in der Abtei zu Gast
PAX (lat. Frieden) steht in großen blauen Lettern am Eingang der Abteikirche. Diese Worte bekommen umso mehr Gewicht, als über das Pfingstwochenende rund 200 junge Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen in der Abtei zu Gast waren: Neben den jungen Erwachsenen des Münsterscharzacher Pfingstkurses, die sich gemeinsam auf die Suche nach dem Mehr im Leben gemacht haben, haben heuer rund 150 junge Menschen der interreligiösen Wanderinitiative Frans-Hike in der Schulturnhalle des EGM übernachtet.
Die feierliche Vesper am Abend des Pfingstsonntag stand ganz im Zeichen von Völkerverständigung und Frieden. Schon die Kunst-Installation „Der Gott Abrahams in seinen drei Kindern“ von Pater Meinrad am Kircheneingang zu den drei abrahamitischen Religionen machte das sinnfällig deutlich: Auf drei übereinander liegenden Glasscheiben sind die Symbole von Judentum, Christentum und Islam zu sehen; sie alle erwachsen aus einem Fundament. Am Boden die Worte „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen“ in verschiedenen Sprachen.
Bewusst hatten die Mönche die Jugendlichen aktiv in die Vesperliturgie eingebunden: Auf jeden der vier Psalmen folgte ein kurzer Text, der teilweise in mehreren Sprachen vorgetragen wurde: Zwei Teilnehmende des Frans-Hike lasen „Über Frieden“ von Karimi sowie die Koran- Sure19,32 auf Arabisch und Deutsch, Bruder Flavian trug einen alttestamentlichen Text aus dem Buch Ezechiel (Ez 36,24-28) auf Kisuaheli und Deutsch vor und Barbara Bargel vom Jugendkurs übernahm den Lesungstext aus dem Johannesevangelium (Joh 20,19-22) auf Griechisch und Deutsch.

Abt Michael verwies darauf, dass schon der Heilige Benedikt den Mönchen den Frieden in die Regel geschrieben habe: „Vor Sonnenuntergang in den Frieden zurückkehren“, schreibe der Ordensgründer. Zugleich machten die gehörten Texte aus den verschiedenen Traditionen deutlich: „Der Friede fängt in uns, in unserem Herzen an! Der Friede fängt in mir und mit mir an! Ich darf es lernen, mit mir mit meiner Geschichte, so wie ich bin, Frieden zu schließen“, so Abt Michael. Wer dann Menschen treffe, die ebenso denken, knüpfe ein Netz des Friedens, „und wenn diese Menschen noch verschiedenen Kulturen und Religionen angehören, wird sichtbar, dass Frieden möglich ist.“ So wolle das gemeinsame Gebet in der Abteikirche „Zeichen des Friedens unter den Kulturen und Religionen sein“.
Im Anschluss an die Vesper waren alle Mitfeiernden zu Döner und Getränken in die Pausenhalle der Schule eingeladen – um „einander kennenzulernen und mehr voneinander zu erfahren“. Wie selbstverständlich das an diesem Abend gelang, zeigen zum Beispiel Soumar aus Leipzig, Amar aus Würzburg und Lama, die zwar in Syrien geboren, das aber nicht als entscheidenden Teil ihrer Identität sehen. Die jungen Leute aus Köln, Leipzig und Würzburg stehen gemeinsam am Tisch, plaudern, lachen, nehmen einander in den Arm. Bis vor wenigen Tagen kannten sie sich nicht, doch was sie verbindet, ist die Sehnsucht nach Frieden. Mit am Tisch Menschen aus Schwarzach und Umgebung, am nächsten Tisch Mönche jeden Alters im Gespräch mit den Hikern. Sie alle erzählen, wie sie beim gemeinsamen Wandern Liebe, Frieden und Gemeinschaft erleben. Christen, Muslime und nicht religiös Geprägte spüren trotz aller Unterschiede das Verbindende, nämlich das Menschsein.
„Ich liebe es, neue Menschen kennenzulernen“, sagt ein junger Mann, der darauf wartet, dass ihm Br. David einen frisch zubereiteten Döner in die Hand drückt. „Wir genießen die Zeit zusammen, beim Laufen in der Natur, beim Essen, beim Singen und Meditieren, beim Feiern und sogar beim Schlafen eng an eng im Isomattenlager“.
Andere wie Nidaa und Youssef sind mit ihrem kleinen Sohn eigens aus Norwegen nach Unterfranken gereist, um beim Frans-Hike dabei zu sein. Manchmal vermissen die beiden, die das Leid und den Schmerz der Flucht in ihren Herzen tragen, ihre Heimat. Aber Frans-Hike ist für sie „wie Familie“, „eine ganz besondere Atmosphäre, die tröstet und heilt“, „jede und jeder ist akzeptiert, egal woher er kommt, was er glaubt und welche Muttersprache er spricht“. Bei 30 Kilometern am Tag ist Nidaa auch an ihre körperlichen Grenzen gekommen, doch die Gruppe habe sie weitergetragen. All das zeigt für sie: „Völkerverständigung ist möglich und: Es ist so einfach!“
Diese ganz besondere Stimmung bestätigte auch Bruder Abraham, der die interkulturelle Wanderinitiative nach Münsterschwarzach geholt hat und steter Ansprechpartner ist: „Zu Euch kann man jederzeit hinkommen und fühlt sich sofort willkommen und aufgenommen! Es ist eine große Bereicherung, dass Ihr da seid!“ Ganz ähnlich empfand das auch Abt Michael. „Die Welt ist uns ein großes Anliegen, die Verbindung mit anderen Religionen und Kulturen ist uns sehr wichtig“ versicherte er, bevor er mit einem Strahlen in den Augen in das arabische Friedenslied der jungen Leute einstimmte.
Stichwort Frans-Hike
Das interkulturelle Wanderprojekt wurde von Jesuitenpater Frans van der Lugt SJ (1938–2014) gegründet, der über 40 Jahre in Syrien gelebt hat. Der Priester und Psychologe aus den Niederlanden war 1966 nach Syrien gekommen und gründete in der Nähe der syrischen Stadt Homs zahlreiche soziale Initiativen. Sein ständiges Ziel war es, Menschen über alle Unterschiede hinweg durch gemeinsame Erfahrungen zusammen und das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen aktiv voran zu bringen. In diesem Geist organisierte er 1968 die erste Al-Maseer (arab. Wanderung), die meist zehn Tage dauerten, offen für alle und körperlich anspruchsvoll waren. Die Idee dahinter: Durch das gemeinsame Wandern sollten Menschen unterschiedlicher Herkunft und Lebensweise auf Augenhöhe miteinander in Kontakt kommen und die Erfahrung teilen, an ihre körperlichen Grenzen zu gehen. Bald nahmen Hunderte von Menschen aus ganz Syrien und der ganzen Welt an den oft mehrere Tage dauernden Wanderungen teil. Am 7. April 2014 wurde Abuna Frans (arab. „unser Vater Frans“) in der belagerten Stadt Homs ermordet. Das Erbe des Jesuitenpaters lebt indes weiter: In Syrien finden die Wanderungen weiterhin statt, 2015 startete der erste Frans-Hike in Europa. Seitdem organsiert der 2020 gegründete gemeinnützige Verein jährlich mehrere Aktionen mit Menschen aus ganz Europa; Großevents wie in Münsterschwarzach gehören ebenso dazu wie kleinere Wanderungen in den Alpen. Ziel und Botschaft sind dabei immer gleich: Fernab von den Zwängen des Alltags Raum für Begegnungen und Austausch schaffen, einander von Mensch zu Mensch begegnen, körperliche Grenzen spüren und überwinden, gemeinsam die Erfahrung teilen, dass Frieden möglich ist.